Freitag, 10. März 2023

Irgendwo auf der Welt

Ich hätte nicht gedacht, das meine Geschichte irgendwie aktuell ist oder immer aktueller wird. 


Letztes Jahr habe ich diese Geschichte für eine Ausschreibung zum Thema "Frauen"  geschrieben und eingereicht. Leider hat sie es nicht ins Buch geschafft. Außer meiner gab es noch weitere 300 plus X Einreichungen. Ich habe mich entschlossen, die Geschichte hier auf meinem Blog zu veröffentlichen. Viel Spaß beim Lesen. Über Kommentare würde ich mich sehr freuen.


Irgendwo auf der Welt

November 2022

Es ist kalt, neblig, den ganzen Tag über hat es schon geregnet.


Der Raum ist voller Menschen, Betreuer sowie Klienten.

Ich sitze alleine auf der Couch, bin nervös, vor dem was ich gleich vorhabe.

Stefan, der Chef vom ganzen, bittet um Ruhe und mich, um nach vorne zu kommen. Und erteilt mir sozusagen das Wort. Jetzt gibt es kein Zurück mehr für mich. Ich muss da durch. Mein Blick geht durch die Menge, sucht meine Betreuerin, sie nickt mir zu. Ich stehe auf und gehe langsam nach vorne. Bleibe stehen, drehe mich um und schaue auf die Menschen die im Raum sind. Viele kenne ich hier , vom sehen, persönlich.

Ich räuspere mich, muss erst mal schlucken und dann:

Ich danke Euch das ihr alle gekommen seid, denn ich muss Euch leider etwas mitteilen.

Keine Bange, jetzt kommt nichts a la, ich bin schwanger, ich will heiraten oder so. Es ist nicht so schön, was ich sagen muss. Ich wünschte, ich müsste es nicht. Ich habe viele Tage und Stunden mit meiner Betreuerin darüber geredet. Sie war anfangs nicht davon begeistert (dabei schaue ich in ihre Richtung), hat mich dann aber dabei super unterstützt.

Ich werde nicht nur B+S verlassen, nicht nur mein Hamburg sondern das Land. Etwas was ich nie für möglich gehalten hätte. Ich muss auswandern, das Leben für uns Trans Menschen wird immer gefährlicher, besonders nach der letzten Bundestagswahl. Auch in Hamburg ist es an der Tagesordnung das wir überfallen werden, nicht nur abends oder in der Nacht, auch am helllichten Tag. Die Zahl der Suizide unter uns steigt von Woche zu Woche. Ich bin nicht die erste, die auswandert und bestimmt auch nicht die letzte. In den letzten Monaten war auch ich nicht vor Angriffen sicher, wurde angepöbelt und bespuckt. Meine Depression wurde immer größer, mir ging es von Tag zu Tag schlechter. Auch meiner Betreuerin fiel es schwer mir zu helfen.

Was tun? Das war die Frage. Ich wusste, wenn ich so weitermache, werde ich da landen, wo ich nie landen wollte, vor der einen einzigen Frage, die sich schon ganz viele von uns gestellt haben.

Monate zuvor

Es ist Bundestagswahl. Ich lese eine Nachricht von Caro, die sie mir gerade geschickt hat.

„Es sieht nich gut aus, die Zentrumspartei soll in den Umfragen weit vorne liegen“.

Ich schreibe zurück: „Wie blöd sind die Deutschen?“

Caro: „Blöd“

Ich setze mich in meinen Sessel, greife zur Fernbedienung und schalte den Fernseher an. Ich zappe durch die Fernsehsender, überall Wahl, Wahl und nochmals Wahl. Und überall diese Zentrumspartei vorne. Mir wird schlecht. Abends dann das Ergebnis. Alptraum. Die Zentrumspartei hat gewonnen, stellt den Bundeskanzler. Was das für uns bedeutet, wissen wir alle. Alles was wir uns in den letzten Jahren erkämpft haben, steht auf dem Spiel, soll rückgängig gemacht werden. Ich merke, wie es mir von Tag zu Tag schlechter geht. Mein Handy hört gar nicht mehr auf zu piepen, so viele Nachrichten erhalte ich. Alles keine guten. Alle machen sich Sorgen, haben Angst, die Zahl der Suizidversuche soll bereits steigen. Beängstigend.

Am nächsten Tag vermeide ich es die Zeitungen zu lesen und Nachrichten zu hören bzw. im TV zu schauen. Im sozialen Netz lese ich Besorgnis erregende Nachrichten. Gefällt mir alles überhaupt nicht. Mir geht es nicht gut, es belastet mich mehr und mehr.

Zwei Tage später bekam ich am Nachmittag eine Nachricht über mein Handy

„Mach schnell den Fernseher an“

Ich laufe zum Tisch, nehme die Fernbedienung und schalte den Apparat an.

„,,,,,,sobald wie möglich werden wir dafür sorgen, das Männer nicht mehr am Sport mit Frauen teilnehmen sowie in ihre Schutzräume eindringen.....“

ich schalte den Kasten wieder aus, laufe in mein Schlafzimmer, werfe mich aufs Bett und fange an zu heulen... da mich wieder viele Nachrichten über Handy erreichen, schalte ich es aus, ich will nix hören und sehen.

Am nächsten Tag treffe ich meine Betreuerin, bei mir um die Ecke, sie sieht mir gleich von weiten an, das mit mir was nicht stimmt.

„Die Wahl, stimmts?“

„Stimmt!“

„Wie geht es dir damit?“

„schlecht, ganz schlecht, immer schlechter.“

„wir werden immer öfters auf der Straße angepöbelt, angespuckt, manche trauen sich abends nicht mehr auf die Straße, aus Angst vor Überfällen. Ich bald auch nich mehr“

„Zu uns kannst Du jederzeit kommen“.

„Das weiß ich aber wie lange noch?“

„Lange“

„Dein Wort in Gottes Ohr“

„Dramatisierst du nich?“

„Nein“

ich gebe ihr mein Handy und sie liest meine Nachrichten. Ihr Gesicht wird immer sorgenvoller. Als sie fertig ist gibt sie es mir zurück.

„Shit“.

„Ja“

Wir verabreden uns für die nächste Woche, sie fährt ins Büro und ich gehe nach Hause. Verkrieche mich in meinem Sessel und versuche zu lesen. Meine Gedanken kreisten immer schneller. Ich halte mir die Hände an Kopf und schreie laut auf. Kann mich nicht auf das Lesen konzentrieren, schaffe es nicht. Mein Handy kündigt wieder eine Nachricht nach der anderen an, ich lasse es liegen schaue nicht nach, kann sowieso nichts gutes sein. Ich ziehe mich aus, mache Musik an, ziehe Vorhänge zu, mache alles so gut wie möglich dunkel und lege mich ins Bett: Ich versuche zu schlafen. Irgendwann gelingt es mir, als ich wach werde ist es draußen stockdunkel, 2 Uhr, zeigt der Radiowecker an. Ich gehe auf Toilette und wieder zurück ins Bett. Dieses mal schlafe ich schnell wieder ein und es ist taghell als ich das nächste Mal aufwache, die Sonne scheint in mein Schlafzimmer rein. Ich stehe auf, gehe auf die Toilette und dann ins Wohnzimmer, mache die Balkontür auf und das Radio an, dann lege ich mich nochmal hin.

Die Tage vergehen, einer nach dem anderen, ich halte mich viel draußen auf, bilde mir aber jedes mal ein, das die Menschen über mich lachen, mich blöd anschauen.

Aus einer Apotheke hole ich mir Johanniskraut, zum besser schlafen und ruhiger werden. Aber es hilft nicht, wie ich in den nächsten Tagen feststellen kann. Ich schlafe immer weniger. Tagsüber fühle ich mich immer müder und abgeschlagener.

Das nächste Treffen mit meiner Betreuerin steht an.

Wir gehen zum Wanderweg und dort unsere übliche Runde.

„Wie geht es Dir?“

„Schlechter“

„War was bestimmtes?“

„Nein, nur das übliche“, dazu schlafe ich immer schlechter oder gar nicht.“

„Und nun?“

„Keine Ahnung, ich lese schon keine Zeitungen und schaue auch keine Nachrichtensendungen mehr. Von anderen höre ich nur schlechtes. Hab gelesen, das einige auswandern wollen.“

„Und Du?“

„Auswandern?“

„Ja“

„Weiß nicht, ist das die Lösung? Und wenn ja, wohin?“

Wir gehen ne Weile schweigend weiter

„Du weißt doch“, fange ich an, „Ich hab es nicht so mit Fremdsprachen, kann nur Deutsch.“

„Dann kommen wohl nur Österreich und die Schweiz in Frage.“

„Tja.“

Ich denke, und was ist mit meiner Arbeit? Wohnung? Und mit dir?

Während wir gehen, kommen uns Leute entgegen, sie schauen mich komisch, fangen an zu lachen. Ich höre Gemurmel, das ich aber zum Glück nicht verstehe, ich sage laut:

„Hörst Du?“, siehst Du, was ich meine? Sage nicht, ich war nicht gemeint, ich war gemeint“.

„Könnte doch...“

„Nein, könnte nich, fall ich ihr ins Wort“.

Lauter als ich wollte, aber automatisch werde ich wieder lauter. Mist!

„Mensch,...

„Ich reg mich aber auf....“

Ich versuche tief durch zu atmen und mich zu beruhigen. Mir kommen die Tränen, sie laufen an meinem Gesicht runter, verschmieren mein Make Up.

„Super“, sage ich zu meiner Betreuerin. Wenn ich jetzt ein Taschentuch benutze, verschmiere ich noch mehr, wie sehe ich dann aus? Wir gingen weiter, es war warm, die Sonne schien, kaum Wolken am Himmel. Wolken waren schon am Himmel, die waren aber nicht zu sehen waren eher symbolische.

„Wie geht es weiter?“

„Ich weiß es nicht“

„Hast Du übers Auswandern nachgedacht?“

„Ja aber ohne eine Lösung zu finden.“

Währenddessen gehen wir weiter und kommen an der Wiese an, auf der fünf Rinder stehen. Einige liegen im Gras, das Futter direkt vor ihrem Maul.

„Die haben es gut“, sage ich.

„Wenn Du willst, höre ich mich mal um..!“

„Danke, ja gerne, tu das...“

„Ok“

Nach einer Stunde sind wir wieder vor dem Haus, in dem ich wohne. Machen einen neuen Termin aus und verabschieden uns.

„Pass auf dich auf“

„Mach ich“ und winke ihr zu.

Ich warte auf den Fahrstuhl um in den 6. Stock zu fahren und schließe dort die Wohnungstür auf. Direkt gehe ich ins Wohnzimmer und setze mich in meinen Sessel. 10 Minuten später bemerke ich, das ich durstig bin. Ich stehe auf und gehe in die Küche um mir was zu trinken zu holen. Aus einem Schrank hole ich ein Glas sowie aus dem Kühlschrank eine Flasche Cola Zero. Ich gieße mir was ein. Mit dem fast vollen Glas gehe ich zurück ins Wohnzimmer , stelle das Glas auf den Tisch und setze mich wieder in den Sessel.

Mein Handy piept, ich nehme es in die Hand, es ist aus und ich öffne es, eine Nachricht von Caro. Sie schreibt, wieder ist jemand ausgewandert, in die Schweiz. Ich mach es wieder aus und trinke erst mal einen großen Schluck. Was soll ich bloß machen? Machen, machen....

Um mich abzulenken mache ich den Fernseher an, schaue Doku Sendungen, bloß keine Nachrichten.

Am nächsten Tag fahre ich mit der U-Bahn in die Stadt, muss Rechnungen bezahlen, also auf zum Berliner Tor in die dortige Filiale. Als ich dort eintrete sehe ich, das die Automaten nicht im Betrieb sind. Schöner Mist. Also wieder raus und zur Bahn und mit der U3 zwei Stationen zur nächsten Filiale. Ich tätige 2 Überweisungen und mache mich auf den Rückweg zur Spitaler Straße. Auf dem Weg dorthin kommen mir 2 Männer entgegen.. Beim Vorbeigehen höre ich ein ausländisches Wort, keine Ahnung welche Sprache und was das heißt und spüre einen Schlag auf meinen Hintern. Erschrocken drehe ich mich um und rufe laut „was soll das???“ Ich sehe die beiden Männer um die Ecke verschwinden. Ich rege mich weiter laut auf, merke wie mir die Tränen kommen. Ich laufe schnell zur U-Bahn und fahre nach Hause. Während der Fahrt laufen mir Tränen übers Gesicht, zu Hause heule ich erst mal richtig. Ich schreibe Caro, was mir heute passiert ist.

Ihre Antwort kommt postwendend: „Heftig, fühl dich gedrückt“. Und „weg hier? Raus hier?“ Ich antworte kurz: „Ja!!!!!“

Aber wie??? Und wohin?????? Ich weiß es nicht. Ich lebe nun schon seit 50 Jahren in Hamburg, 20 Jahre in dieser Wohnung. Ich stehe auf und gehe zum Balkon, öffne Tür und setze mich draußen hin. Es ist warm, ein Luftzug ist zu spüren. Am liebsten würde ich mir einen Bikini anziehen und mich sonnen. Traue mich aber nicht.

Ich gehe wieder rein. Schaue mich in meiner Wohnung rum und sehe einige Sachen, die schon lange unbenutzt rumliegen. Die können auch wech, sage ich mir, schaue mich um, krame in Schubladen und finde noch mehr. Ich bringe alles runter und schmeiße es in die Container. Wieder zurück in meiner Wohnung, merke ich wie viel ich da rausgeschmissen habe. Ich schau mich um und überlege, was würde ich mitnehmen und was muss hierbleiben und was mache ich damit? Mein Handy piept, Nachricht von Caro, die Regierung fängt mit den Vorbereitungen an, die Gesetze, die uns (Transgender) betreffen, zu löschen. Mein Herz pumpt, ich rege mich darüber auf. Sehr. Ich hole mir was zu trinken und trinke das Glas auf Ex aus. Ich mache den Fernseher an und stolpere in einen Beitrag in dem berichtet wird, das der US Präsident die deutsche Regierung für ihr Vorhaben gegen Trans Menschen lobt. Schnell mache ich den Apparat wieder aus. Ekelhaft. Ich schicke Caro ne Nachricht und frage sie ob sie das mit dem amerikanischen Präsidenten gelesen hat? Sie antwortet kurz darauf mit Ja, ekelhaft. Ich erzähle ihr, das ich meine Wohnung ein wenig ausgemüllt habe. Was weg kann, ist raus. Gute Idee, antwortet sie. Ich frage sie, was sie alles mitnehmen würde, was macht sie mit dem was hierbleiben muss? Sie überlegt da noch, schreibt sie mir, ich auch, antworte ich ihr. Vor allem unsere ganze Kleidung können wir ja nicht mitnehmen. Von Schuhen ganz zu schweigen. Vieles muss da bleiben, bzw. müssen wir dann , wo auch immer, neu kaufen. Eigentlich schade aber nicht zu ändern. Ich müsste meinen Laptop und alle externen Festplatten mitnehmen und meinen Tolino natürlich. Hm.... ob das funktioniert? Zuviel und zu schwer will ich ja auch nich mitnehmen. Mist! Aufgewühlt lege ich mich ins Bett und schlafe bald darauf ein.

Am nächsten Tag, ich komme von der Arbeit nach Hause, mache ich mit dem Ausmisten weiter, unabhängig davon ob ich bleibe oder irgendwann abhaue. Wieder fällt einiges an, in der Wohnung und im Keller das in Müll kann. Meine Wohnung sieht immer ordentlicher aus. Autsch!!!

Schlechte Nachrichten von Freunden/Bekannten ignoriere ich geflissentlich. Ich will mich nicht noch zusätzlich belasten. Mir reicht, was ich so alles mitbekomme an schlechten Nachrichten. Und es wird einfach nich besser. Im Gegenteil.

Ein paar Wochen später, es geht auf Oktober zu, erhalte ich eine Nachricht, die mich innerlich jubeln lässt:

„Wandern in ein paar Wochen in die Schweiz aus, Richtung Bern. Wir haben noch Plätze frei. Überleg es Dir, ob Du mitkommen willst. Aber nicht zu lange.“

Autsch! Und jetzt?? Ich schreibe meiner Betreuerin eine Nachricht und bitte sie dringend um einen Termin!!!.

Kurze Zeit darauf, meldet sie sich, da jemand abgesagt hat, können wir uns am nächsten Tag um 14. Uhr treffen. Ich atme auf und sage ihr zu. Und hoffe, der Tag geht schnell vorbei.

Am nächsten Tag, beide sind wir pünktlich vor meinem Haus und gehen Richtung Wanderweg. Ich bemerke, wie angespannt sie ist.

„Was möchtest Du mir so dringend erzählen?“, fragt sie mich.

„Ich habe gestern eine Nachricht bekommen, da wandern einige meiner Bekannten in die Schweiz aus, sie ziehen zusammen in der Nähe von Bern in einem Haus und ich könnte mitkommen. Habe aber nicht viel Zeit um es mir zu überlegen.“

„Dann wird es jetzt Ernst?“

„Ja“

„Und was willst Du?“

„Wenn ich das mal wüsste!! Ich bin zwiegespalten. Auf der einen Seite hierbleiben und auf der anderen Seite, Aufbruch in was ganz Neues“

„Keine leichte Entscheidung“

„Nein“

Während dessen spazieren wir am Wanderweg Richtung Friedhof Öjendorf. Im Bach befindet sich viel Wasser, dank der Regenfälle in den letzten Tagen. Der Himmel ist bewölkt. Das Tageslicht kommt kaum durch.

„Was willst Du?“ fragt sie mich wieder.

„Was ich will, wird leider nicht passieren. Das ist ein Wunschtraum“

Wir erreichen unseren Wendepunkt und gehen zurück. Ich erzähle ihr, das es wohl besser ist, erst mal mehr zu erfahren, Wie viele, Wohnung usw. Sie stimmt mir zu. Wir gehen weiter zurück zum Haus in dem ich wohne. Wir verabreden uns für die nächste Woche und verabschieden uns. Oben in meiner Wohnung schreibe ich an meine Bekannten eine Whats-App Nachricht, in der ich um weitere Infos bitte Ich schreibe eine Email an die Personalabteilung meines Arbeitgebers und meiner Vorgesetzten und erzähle ihnen alles. Ich frage sie ob es möglich ist per Home Office von der Schweiz aus weiter zu arbeiten oder ob ich mir dann im Falle des Auswanderns eine neue Arbeit suchen muss in der Schweiz. Ich bitte um schnelle Antwort.

Jetzt muss ich warten, was mir sehr schwerfällt. Ruhelos laufe ich in meiner Wohnung rum, schaue täglich ob Emails und Nachrichten kommen. Endlich erhalte ich die Infos was die Auswanderung betrifft. Ich lese mir alles gründlich durch und leite die Nachricht so an meine Betreuerin weiter. Ein Stunde später bedankt sie sich.

Auch eine Antwort meiner Firma erhalte ich einen Tag später. Es ist möglich schreiben sie, ich solle mich bald melden, wie ich mich entscheide. Sie wünschen mir viel Glück dafür.

Puh!!! Ich bin etwas erleichtert, müsste ich nicht sofort eine neue Arbeit suchen. Könnte erst mal weiterarbeiten, wenn dort in der Wohnung alles eingerichtet ist. Auch diese Antwort leite ich an meine Betreuerin weiter.

Ich schreibe meiner Bekannten das ich dort weiter arbeiten kann Sie freut sich für mich. Nicht alle, die mit kommen, haben es so gut, einige werden sich neue Arbeit suchen müssen. Meine Bekannte schickt mir eine Liste mit Namen und Infos über die, die mit auf die Reise gehen. Einige Namen sagen mir was aber nicht alle. Und, frage ich laut, was mache ich? Mit Fahren oder bleiben? Und wenn, dann muss ich bald eine Entscheidung treffen, was ich mitnehme und was bleibt hier? Oder kann ich vielleicht alles mitnehmen?? Auch das muss ich wohl noch klären. Dann bräuchten wir alle jeweils einen Umzugsdienst. Welche Möbel will ich mitnehmen??? Wie viel Platz habe ich dort für mich???

Da macht es „Pling“ in meinem Handy. Nachricht. Meine Bekannte hat mit allen Ausreisewilligen eine Whats App Gruppe gegründet. Prima, dann kann ich dort meine Fragen stellen. Ich sage erst mal Hallo zu den anderen.

Ein reger Austausch beginnt. Dadurch kann ich mir jetzt besser überlegen, was ich will. Könnte ne lange Nacht werde, wenn ich mir den Chatverlauf so anschaue.

Ein neuer Tag, Ein neues Treffen mit meiner Betreuerin steht an. Wir haben viel zu besprechen. Sie verspätet sich um einige Minuten. Wir gehen zunächst zum Bäcker um uns etwas zu essen zu holen, Von dort gehen wir dann wieder zum Wanderweg und spazieren den Bach entlang. Es fängt an zu regnen was uns nicht stört. Beim gehen essen wir unsere Brötchen. Und werden nass.

„Ich habe Deine Nachrichten gelesen. Hört sich doch gut an. Weißt Du schon was Du jetzt machen wirst?“

„Nein aber wir, die Auswandern wollen, haben jetzt eine Chatgruppe, das hilft mir dann schon etwas, eine Entscheidung zu treffen. Und das ich wo möglich dort meine Arbeit weiter machen kann und so Geld verdiene, natürlich auch.“

„Dann solltest Du es dir jetzt gut überlegen, was du machst.“

„Ja vor allem, nehme ich alles mit oder lasse ich was hier?“

„Möglicherweise gibt es Sachen, die du sowieso nicht mehr benutzt, die kannst du dann hierlassen.“

„Ich werde mir meine Wohnung und Keller daraufhin die nächsten Tage sicherlich anschauen. Ich habe ja schon einiges weggeschmissen.“

Ich erzähle ihr, das wohl nich alle auf einmal auswandern und dort ankommen.

„Dann kannst Du dir ja erst Recht gut überlegen, was mit kommt und schon vorab hinschicken.“

„Ja, ich denke, das wir das so machen werden.“

„Keine Bange, wir werden Dir beim Umzug helfen.“

Mir kommt eine Träne vor Freude

„Danke!!!“

„Ich habe eine gute Nachricht für dich. Wenn Du möchtest, musst Du nicht ASP kündigen. Ich habe mit Stefan und meinen Kolleginnen gesprochen. Wir versuchen dich von Hamburg aus, zu unterstützen. Wir telefonieren, vielleicht ja sogar per Videobild, dann sehen wir uns wenigstens.“

Ich möchte am liebsten laut aufschreien.

„Das wäre super, ich kann dir gar nicht sagen, wie mich das freut. Super!!!“

Ich kann mich gerade noch so zurückhalten um sie feste zu drücken.

Wieder zu Hause in meiner Wohnung muss ich erst mal heulen. Dann schreibe ich eine Nachricht in unsere Gruppe, das ich mit komme. In den nächsten Tagen suche und finde ich einen Umzugsdienst, der in die Schweiz fährt.

November 2022

Im Clubraum

„Zum Glück kam es anders, ich traf auf Gleichgesinnte, denen es genauso ging wie mir. Wir redeten und redeten, darüber was wir tun können und plötzlich stand das Wort auswandern im Raum. Ich war lange unentschlossen, wusste nicht, was ich tun soll. Meine Betreuerin half mir meine Gedanken zu ordnen. Ich sprach auch mit meinem Arbeitgeber, kann, wenn nix schiefgeht, meine Arbeit dort weiter machen, im Home Office, wie hier in Hamburg. Wir haben einen Umzugsdienst gefunden, der Termin steht, ich habe schon einiges gepackt und vorgeschickt. Ich bedanke mich bei allen Betreuern und Klienten, die mir in den letzten Tagen geholfen haben. Es fällt mir nicht leicht, zu wissen, das ich nicht mehr zu den Gruppen vor Ort kommen kann. Auch wenn ich am Anfang gesagt habe, das ich B+S verlasse, stimmt das nicht so ganz. Vor Ort kann natürlich nichts mehr stattfinden mit mir aber aus der Ferne über Telefon, werde ich mit meiner Betreuerin in Kontakt bleiben. Unsere Rechnungen werden bestimmt steigen.“ Dabei muss ich lachen und schaue zu meiner Betreuerin.

Ich möchte mich bei Euch allen bedanken für alles, was ihr in den letzten 5 Jahren für mich getan habt. Wenn ihr Euch umdreht, dort ist etwas aufgebaut. Zu Essen und zu Trinken. Ich wünsche Euch allen guten Appetit.“

Ich verziehe mich erst mal in eine Ecke, wo mich keiner sieht. Jetzt fällt es mir doch gerade schwer und ich merke, wie mir die Tränen hochkommen. Meine Betreuerin kommt mir hinterher und drückt mich.

2 Wochen später, vormittags, stehe ich auf dem Hamburger Hauptbahnhof. Meine Betreuerin ist bei mir. Zusammen warten wir auf den Zug, der mich nach Bern in die Schweiz bringt. Alle Formalitäten haben wir in den letzten Tagen zusammen erledigt. Wir haben so einige Behördengänge hinter uns. Ich habe erst mal Urlaub. Solange, bis in meiner neuen Wohnung alles bereit ist, das ich wieder einsteigen kann. Wie ich den Nachrichten aus meiner Gruppe ersehen kann, werde ich schon erwartet. Ich schreibe, das ich bereits auf dem Bahnsteig stehe und auf den Zug warte. Ein großes Hurra!! ist die Antwort.

Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit. Wir entschließen uns solange etwas spazieren zu gehen. Ein letztes Mal durch die Spitaler Straße. Einige Plätze in Hamburg habe ich mir in den letzten Tagen angeschaut und so Abschied von Hamburg genommen. Besonders lange habe ich in der HafenCity gesessen und aufs Wasser geschaut. Ich habe gehört, das es auch in der Schweiz Seen gibt. :) Vielleicht finde ich ja einen schönen Platz am Wasser. Es wird Zeit und wir gehen zurück zum Bahnhof, es wird Zeit Abschied zu nehmen. Auch wenn wir in Kontakt bleiben, fällt es uns beide schwer. Tränen kullern. Der Zug fährt ein. Ich nehme mein Gepäck, drücke sie noch mal und steige ein. Zum Glück finde ich einen Platz in Fahrtrichtung, lege mein Gepäck oben ins Gepäckband und setze mich. Ich atme auf. Bald bin ich in der Schweiz und es kann mir egal sein, was in Deutschland passiert. Ich mache das Fenster auf und winke meiner Betreuerin zu, während der Zug anfährt. Bald ist sie aus meinem Gesichtsfeld entschwunden. Ich mache das Fenster zu. Schließe die Augen. Ich hole mein Handy aus der Tasche, setze Kopfhörer auf und höre Musik, die ich für diesen Fall vorbereitet habe. Comedian Harmonists „Irgendwo auf der Welt“ und „Gib mir den letzten Abschiedskuss, weil ich dich heut 'verlassen muss.“ ohne diese beiden Lieder geht es einfach nicht, die wie die Faust aufs Auge passen.

Die Reise in eine ungewisse Zukunft beginnt. Werde ich jemals wieder zurück nach Deutschland kommen?

ENDE



Epilog

2 Jahre später, aus Deutschland sind viele Trans Menschen ausgewandert, die die bleiben mussten, einige haben sich umgebracht, weil sie nicht damit leben konnten, das der Staat ihre Angleichung sozusagen ausgelöscht hat. Viele von Ihnen wurden eingesperrt. Lola lebte 2 Jahre in der Schweiz, dann zog es sie nach Frankreich, wo sie, nachdem sie die Sprache erlernt hat, noch heute lebt. Sie ist niemals nach Deutschland zurückgekehrt.









#trans #transgender #worstcase #sozialtreff #asp #hamburg #transidentität #auswandern #krisen #usa 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

44. Todestag John Lennon

 Manches im Leben vergisst man nicht. So auch ich. Ich war 15, ging auf die Otto Hahn Gesamtschule und einmal in der Woche zum Nachhilfeunte...