Die letzten Stunden
Herbst.
Draußen ist so ne richtige Nebelsuppe. Man sieht kaum die Lichter der Stadt, der Autos und Strassenlampen.
Ich sitze in einer Bar und lasse es mir gut gehen. Vor mir steht ein Glas Pernod mit Cola. Das zweite. Und bestimmt nicht das letzte.
Momentan bin ich der einzige Gast. Habe mich schick gemacht. Dem Anlass entsprechend. Das teure Kleid, das ich mir extra gekauft habe, eine durchsichtige Strumpfhose und passende Pumps. Wann hatte ich das letzte mal eine Hose an? Ist schon lange her. Ich habe mit dieser Kleidung abgeschlossen. Ist aus einem früheren Leben.
Die Barkeeperin steht am anderen Ende der Theke und wäscht ein paar Gläser sauber.
Warum sitze ich hier?
Meine Koffer sind gepackt. Am Montag geht es für 2 Wochen ins Krankenhaus. Dann beginnt endgültig mein neues Leben. Das alte lasse ich hinter mir. Ein ganzes Jahr durfte ich warten. Eine verdammt lange Zeit. Die Wartezeit war das schlimmste in den letzten Jahren. Immer dieses warten. Immer dieses blöde Warten, bis ich wieder was erreicht habe.
Mit einem großen Schluck leere ich mein Glas. Ich schaue zur Barkeeperin, ihr Name ist Jenny, nicke ihr zu und sie macht mir ein neues fertig und stellt es mir hin. Ich bedanke mich bei ihr. Immer wieder habe ich meine Liste angeschaut, was fehlt mir, was muss ich noch besorgen. Wenn jetzt noch was fehlt, fehlt es eben. Ich schaue auf die Uhr und zähle die Stunden. Bis ich auf dem OP-Tisch liege. Endlich.
Ich merke, wie sich meine Blase bemerkbar macht. Ich steige von meinem Hocker runter und gehe zur Toilette. Links oder rechts? Soll ich noch einmal....? Nein auf keinen Fall und nehme die Rechte Tür.
Zurück an meinem Platz steht schon wieder ein volles Glas. Ich nicke Jenny zu, danke und proost. Sie kommt zu mir
Warum bist du stehen geblieben? Hast du sonst nie gemacht.
Ich war in Gedanken....
Alles ok mit dir?
Ja, alles gut
Und warum trinkst du so viel?
Ich nehme Abschied, Jenny
Jenny geht wieder, nach hinten und lässt mich allein.
Sie kommt zurück und fragt
Du hattest mir doch erzählt, dass du ins Krankenhaus gehst
Ja, habe ich
Ist es das, was ich denke, warum du vor den Toiletten gezögert hast?
Ja, du hast recht.
Hast du Angst?
Nein, hatte ich nie. Mir ging es immer um das wann
Wieso nich?
Mir is eingefallen, das ich während der Operation schlafe und nichts mitbekomme. Die Arbeit machen andere.
Ich hab keine Wahl ob ja oder nein
Man hat immer eine Wahl
Stimmt aber nicht in meinem Fall. Andernfalls könnte ich eine schwerere Depression bekommen, wenn ich wieder alles verdränge. Ich gehe meinen Weg bis zum Ende.
Oh, ich verstehe, trinken wir darauf. Cheers.
Wir stoßen an und trinken jede einen Schluck.
Jenny macht wieder ihre Arbeit und ich hänge meinen Gedanken nach. Hatte ich wirklich eine Wahl?
Nein, ich denke nicht.
Ob das mit den schweren Depressionen stimmt? Ich weiß es nicht. Ich weiß, das ich es nicht herausfinden will. Von daher habe ich einfach keine Wahl.
Aus den Augenwinkeln schaue ich zu Jenny. Eine schöne Frau. Ob ich .... Nein!! Stop Alexa!! Du hast es bereits 2 mal falsch gemacht. Lass es. Sie ist mit einem Mann zusammen.
Tja, ich und die Frauen. 2 Welten treffen auf einander. Darauf trinke ich einen Schluck. Auch dieses Glas ist bald leer.
Ich steige von meinem Hocker und bewege mich ein wenig. Gehe zur Tür. Der Nebel wird immer dichter. Es ist bereits dunkel. Ich schließe die Tür und gehe zurück zu meinem Platz. Ich zähle wieder die Stunden. Ich bin überhaupt nicht nervös. Kein bisschen. Anscheinend habe ich das laut gesagt, denn Jenny zeigt mir einen Vogel. Ich strecke ihr meine Zunge raus. Zur Strafe darf sie mir ein neues Glas bringen. Tausche gegen ein leeres.
3 Jahre ist es jetzt her, das ich meinen Weg begonnen habe. Durfte viele Steine aus dem Weg räumen. Nun sind es nur noch Stunden. Dann bin ich dieses Dings endlich los. Es nervt mich schon lange und es gehört nicht zu mir. Es passt nicht. Fragend schaut Jenny mich an. Alles gut sage ich, mir gehen viele Dinge durch den Kopf. Zu viele. Verstehe ich, antwortet sie mir. Ich schaue auf die Uhr und denke, wieder eine Stunde weniger. Ich trinke aus meinem Glas. Bald ist wieder ein neues fällig.
Das ist doch dein letztes Wochenende? Jenny unterbricht meine Gedanken.
Sorry, ich war in Gedanken. Was hast du gesagt?
Das ist doch sozusagen dein letztes Wochenende?
Ja, stimmt
Hast du mal dran gedacht........
An was?....
Mit einer Frau zu.......
Stopp!
Nein, habe ich nicht. Würde erstens nicht funktionieren und zweitens eben Nein
Nur Frau und Frau, das ja..
Ich versuche ihr es zu erklären..
Ich hab seit 2 Jahren keine männlichen Hormone mehr. Alle wech, deshalb passiert da unten nix mehr, bzw. Es würde wohl den ganzen Tag dauern. Nix mit rein und raus, wie bei vielen Männern.
Beide lachen wir los.
Vermisst du es?
Nein, ich bin froh, wenn das verdammte Ding endlich weg ist. Obwohl, wech isser ja nicht. Er wir nicht mehr zu sehen sein, dabei grinse ich.
Wie bist du eigentlich zu deinem Namen gekommen? Hast du vorher...?
Nein, unterbreche ich sie schnell.
Eigentlich ist er mir zu geflogen. Unter ganz vielen Vorschlägen, wusste ich das is meiner.
Kennst du die Sängerin Alexandra?
Mein Freund der Baum?
Nein, nie gehört.
Moment
Ich hole mein Musikhandy raus. Suche kurz und starte
Mein Freund der Baum
Wunderschön, sagt Jenny
Ja, eins meiner Lieblingslieder seit Jahren
Und kennst du dieses Lied?
Ich suche kurz wieder und
Bap mit Alexandra, nit nur Do
Mein Lied, seit den 80ern
Von daher war die Wahl einfach und ich möchte nicht anders heißen.
Klasse Lied, gefällt mir
Ich spiele es gleich noch mal
Als Abkürzung habe ich mir Alexa ausgesucht, weil Alex für mich immer männlich ist. War ich lang genug.
Das verstehe ich.
Sie schenkt mir ein neues Glas ein und wir stoßen zusammen an.
Cheers
Cheers
Hast du schon mal vom Club der 27er gehört, frage ich
Nein
Das sind Musiker, die in ihrem 27. Lebensjahr gestorben sind. Brian Jones, Janis Joplin und als einzige deutsche Alexandra
Was is mit ihr passiert?
Sie ist unter ungeklärten Gründen in den 60er auf der Autobahn Richtung Ostsee bei einem Unfall umgekommen.
Sie hat übrigens in Hamburg gewohnt, in Rothenburgsort. Manche behaupten sie hätte Selbstmord begangen, die anderen, das es einfach ein Autounfall war.
Das ist traurig
Sie und das Lied sind der Grund für meine Namenswahl.
Eine gute Wahl, er passt zu dir.
Danke.
Beinahe wäre es schief gegangen, weil der Gutachter bekloppte Fragen gestellt und ich entsprechend geantwortet hatte.
Ich gehe nochmal zur Toilette, dies mal ohne zu zögern, welche ich nehme.
Als ich zurückkomme sehe ich Jenny telefonieren. Nachdem sie aufgelegt hat, kommt sie zu mir.
Schluss für heute. Du hast genug getrunken. Ich habe dir ein Taxi bestellt.
Sie umarmt mich
Mach dir keinen Kopf. Für mich bist du perfekt als Frau. Mehr Frau als andere. Toi toi toi!! Wird alles gut gehen. Ich komme dich besuchen.
Ich lächle sie an.
Mir fehlen die Worte.
Ich drücke sie.
Ich nehme meine Jacke, verlasse die Bar und gehe zum Taxi.
Der letzte Schritt steht kurz bevor. Nur noch wenige Stunden bis dahin.
Die letzten Stunden
ENDE
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