Eine Geschichte, an der ich mich gerade erinnert habe. Anscheinend bisher unveröffentlicht.
Gegenwart
Seit vielen Jahren bin ich wieder zu Hause. Das Wetter ist typisch Hamburg. Dicke Wolken, regnerisch. Ich fahre vom Bahnhof mit der U Bahn in die HafenCity und spaziere zu den Marco Polo Terrassen. Inzwischen ist alles voller Häuser. Die Elbe sehe ich kaum. Aber mein früheres Stamm Café. Es ist noch da. Ich betrete es, bestelle wie früher einen großen Becher weiße Schokolade. Der Regen wird stärker. Erinnerungen kommen hoch. An eine Zeit in der es mir schlecht ging. So schlimm, das beinahe passiert wäre, was ich nie wollte. Eine Zeit in der ich diskriminiert und gemobbt wurde von Kolleginnen, mit denen ich Tag für Tag verbringen musste. Wegen denen ich meine Stundenzahl schließlich reduzieren musste, weil ich es gesundheitlich nicht mehr schaffte 8 Stunden zu arbeiten. Und weil ich keine Mehrarbeit mehr leisten konnte, war ich für sie unkollegial. Kolleginnen, die einfach nicht damit klar kamen, das ich plötzlich kein Kollege mehr war sondern eine Kollegin. Kolleginnen, die neue Anweisungen an mich nicht weitergaben.
Ich denke an meine damalige Betreuerin und Therapeutin. Wie geht es ihnen heute? Machen sie noch immer die gleiche Arbeit. Ihnen habe ich es zu verdanken, das ich nicht ganz abgestürzt bin. Immer wieder aufstehen konnte. Die mich gefördert und unterstützt haben.
Rückblick
Meine blöden Kolleginnen wieder. Können nicht aufhören. Können einfach nicht akzeptieren, das ich eine Frau und kein Mann bin. Wieder haben sie eine Anweisung an mich nicht weitergegeben. Mich praktisch auflaufen haben lassen. Anstatt nach Hause zu fahren, mache ich mich auf dem Weg zum Hafen. Mit der U-Bahn Richtung Landungsbrücken. Dort nehme ich die Fähre nach Finkenwerder. Der Himmel ist stark bewölkt. Es ist windig. Trotzdem geh ich nach oben und lass mich kräftig durch wehen. Noch regnet es nicht. An der Station Dockland steige ich aus und gehe zu dem Gebäude, das die Form eines Schiffes hat. Nun stehe ich vor der Treppe und sehe die vielen Stufen. Soll ich da wirklich rauf? Hat mich das Haus angezogen? Ich war lange nicht hier. Ich gehe langsam hoch. Stufe für Stufe bis ganz nach oben. Oben angekommen, setze ich mich erst mal hin. Wieso bin ich hier? Ich habe mich wieder über meine Kolleginnen geärgert. Ist mein Fass jetzt über voll? Ich hab die Schnauze gestrichen voll. Ich will nicht mehr. Will da nur noch weg. Meine Gedanken rasen nur so in meinem Kopf. Alles negative kommt wieder hoch. Ich versuche meine Betreuerin anzurufen aber sie hat keine Zeit um ran zu gehen.. Auch bei meiner Therapeutin versuche ich es. Auch Fehlanzeige. Mist Mist Mist. Die Tränen fangen an zu kullern. Es werden immer mehr. Ich halte meine Hände vors Gesicht. Ich kann nicht mehr. Schreie laut, wo seid ihr? Ich höre den „goldenen Reiter“. Wenn er fällt dann schreit er oder „Spring doch schon“, von Westernhagen. Im Grunde das völlig falsche momentan. Ich kann nicht anders. Schaffe es nicht meinen Notfallkoffer zu öffnen. Er ist zu weit weg von mir. Bilder laufen in meinem Kopf. Bilder aus der Vergangenheit. Der ganze Marathon-Lauf mit allem was ich durch gemacht habe. Was mir andere Menschen angetan haben. Was ich vor Ärzten, Gutachter und Behörden durch machen musste. Die Menschen, die in der Reha nicht mir duschen wollten oder neben mir auf der Toilette sitzen. Der Kampf um meinen Körper, mein Leben. Welche Menschen ich verloren habe. Irgendwann war ich alleine und einsam. Niemand wollte mehr was mit mir zu tun haben. Ich kam mir wie ein Monster vor. Ein Aussätziger. Jemand, mit der niemand was zu tun haben will. Schluss Aus. Es könnte schnell vorbei sein. Hier und jetzt. „Spring doch schon, tönt es in meinem Ohr. „Spring doch schon, wer braucht dich noch“. Ja, wer? Mir fällt keiner ein. Also springen? Dann hätte ich meine Ruhe. Alles wäre vorbei. Endgültig.
Ich weiß nicht, was ich tun soll und heule wieder. „Spring doch schon, du weißt es doch. Spring doch schon“. Hilfe. Ich will das nicht. Hilfe. Das soll aufhören. Hilfe. Es fängt an zu regnen. Ich bleibe sitzen. Ich werde nass und bleibe sitzen. Der Himmel und ich, beide weinen wir. Dann ist beides vorbei. Ich bin klatsch nass. Mir egal. Plötzlich kommt eine Frau auf mich zu. Sie sind ja klatsch nass. Sie holen sich den Tod. Ich darauf „guter Witz“ und fange an zu lachen. Mein Handy klingelt. Meine Betreuerin. Endlich. Ich gehe ran. „Hallo. Wann hast du Zeit für mich? Ich habe Redebedarf - ein Notfall. Mir ging es nicht so gut. Ich bin im Hafen“. Ich soll gleich kommen. „Vielen dank. Bis gleich“. Am Horizont sehe ich die Fähre schon kommen. Alles wird gut, denke ich.
Gegenwart
Langsam komme ich wieder zu mir. Die Schokolade ist kalt geworden. Ich hole mir eine neue. Ich starre aus dem Fenster. Es regnet immer noch. Wäre ich wirklich gesprungen frage ich mich in meinen Gedanken. Ich trinke einen Schluck. Heiß. Tränen kullern aus den Augen.
Der Himmel klärt auf. Ich nutze das aus und gehe wieder zur U Bahn...
ENDE
Was wäre wenn...... Es hätte auch anders ablaufen können aber das ist eine andere Geschichte.
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