Sonntag, 6. Dezember 2020

Brief an den Weihnachtsmann von Erich Kästner

 Brief an den Weihnachtsmann

Lieber, guter Weihnachtsmann,
weißt du nicht, wie’s um uns steht?
Schau dir mal den Globus an.
Da hat einer dran gedreht.
Alle stehn herum und klagen.
Alle blicken traurig drein.
Wer es war, ist schwer zu sagen.
keiner will’s gewesen sein.
In den Straßen knallen Schüsse.
Irgendwer hat uns verhext.
Laß den Christbaum und die Nüsse
diesmal wo der Pfeffer wächst.
Auch um Lichter wär es schade.
Hat man es Dir nicht erzählt?
Und bring keine Schokolade,
weil uns ganz was andres fehlt.
Uns ist gar nicht wohl zumute.
Kommen sollst du, aber bloß
mit dem Stock und mit der Rute.
(Und nimm beide ziemlich groß.)
Breite deine goldenen Flügel
aus, und komm zu uns herab.
Dann verteile deine Prügel.
Aber bitte nicht zu knapp.
Lege die Industriellen
kurz entschlossen übers Knie.
Und wenn sie sich harmlos stellen,
glaube mir, so lügen sie.
Ziehe denen, die regieren,
bitteschön, die Hosen stramm.
Wenn sie heulen und sich zieren,
zeige ihnen ihr Programm.
Und nach München lenk die Schritte,
wo der Hitler wohnen soll.
Hau dem Guten, bitte, bitte,
den Germanenhintern voll!
Komm, und zeige dich erbötig,
und verhau sie, dass es raucht!
Denn sie haben’s bitter nötig.
Und sie hätten’s längst gebraucht.
Komm, erlös uns von der Plage,
weil ein Mensch das gar nicht kann.
Ach, das wären Feiertage,
lieber, guter Weihnachtsmann!

Erich Kästner - 1930


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