Sonntag, 30. April 2023

Der letzte Tag mit

Ihr letzter Tag mit...


Es begann früh warm zu werden in diesem Jahr. Es war ein besonderes für sie. Das Ende ihres Weges kam immer näher. Wie anstrengend die letzten 4 Jahre waren, ist ihr gar nicht so bewusst gewesen. Erst hinter her wurde ihr das nach und nach klar. Am Ziel ankommen war das wichtigste für sie. Sie wusste genau, was sie wollte. Musste nie lange überlegen. Zweifel hatte sie nie, bis heute nicht. 
Nur noch ein paar Wochen, die sie überstehen musste. Dann war es endlich soweit.
Als sie ihren Weg begann, stand dieses Ziel noch gar nicht in ihrem Fokus, geschweige das sie wusste, was alles auf sie zukam. Sie ist einfach losgegangen. Lies alles auf sie zukommen. Möglicherweise hat ihr dabei ihre  Depression geholfen. 
Ein Jahr vorher war ihr plötzlich klar, das es nur darauf ankam, wann es passiert. Sie wusste wo es passieren sollte. Sie hatte keine Angst vor dem was geschehen sollte. Als wenn es ihr vorbestimmt war. Schlussendlich zu bekommen, was ihr bei ihrer Geburt vorenthalten wurde.

5 Jahre ist dieser Tag nun her. Das Ende ihres Weges. Das Ende eines Prozess. Oder, wie jemand gesagt hat, ein Marathonlauf. Sie hat nie bereut, das sie ihn gegangen ist. Im Gegenteil. Es war das richtige. Sie war davon überzeugt, dass ihre Depression sich immer mehr verschlechtert hätte, hätte sie darauf verzichtet. Das sie da gelandet wäre, wo sie nie sein wollte. Auch nach 5 Jahren nicht. 

Ob sie jemals vergessen wird, was damals passiert ist? Vorstellen kann sie es sich nicht.

Die Sonne scheint, es ist bereits warm an diesem Morgen als sie mit ihren Taschen zur Frühstücksgruppe kommt. Sie stellte ihre Taschen, dort, wo sie nicht stören und setzte sich an einen freien Platz. Sie war weder aufgeregt noch nervös. Auch wenn es nur noch wenige Stunden sind, bis es endlich losgeht. Sie isst heute morgen mehr als sonst, da sie erst wieder nach der Operation essen darf. Also langt sie tüchtig zu. Während des Essens wird viel geredet. Leute kommen und gehen, setzen sich dazu. Dadurch ist sie abgelenkt, hat die Zeit vergessen. 
Mittag ist vorüber. Nur noch wenige sitzen mit ihr am Tisch. 
Plötzlich fragt jemand laut:
Musst du nicht los?
Sie bekommt einen Schreck:
Ooooooh nein, ich komme zu spät.
Sie steht zu schnell auf, ihr Stuhl fällt mit lautem krachen um. Muss aufpassen, daß sie nicht hinfällt 
Oh gott
Dann ein Blick zur Uhr:
Oh Frau, Gott sei Dank, alles gut aber ich muss langsam los. Puuuuh.
Sie bringt ihr Geschirr weg, stellt es in die Spüle. Sie setzt sich noch mal hin und trinkt ihr Glas aus. Auch das kommt in die Spüle. Dann holt sie ihre Taschen und verabschiedet sich von den Anwesenden. 
Sie macht sich auf den Weg zur U-BAHN. Jetzt wird es ernst, denkt sie beim Gehen. Zehn Minuten später steht sie auf dem Bahnsteig. Laut Anzeige kommt die nächste Bahn in 3 Minuten. Wenn nichts passiert, wird sie pünktlich sein. Die Bahn kommt, sie steigt ein und setzt sich. Im Wagen sind keine Fahrgäste. Gott sei Dank, denkt sie. Mit der U2 fährt sie bis Schlump mit und steigt in die U3 um und fährt bis Kellinghusen Straße. Dort steigt sie aus und geht zu den Bussen. Sie wartet auf den Bus, der nach Altona fährt. Ein paar Minuten später geht es auch schon los und nach 5 Stationen hält der Bus direkt vor dem Krankenhaus. Sie steigt aus und bleibt erst mal stehen. Sie hat noch Zeit. Atmet tief durch. Schaut in die Sonne. Auf geht's sagt sie sich. Sie geht auf das Gebäude zu, findet den richtigen Gang und geht zur Anmeldung. Dort drückt man ihr eine leere Flasche und eine Flasche Wasser für eine Urinprobe in die Hand. Sie sucht sich einen Stuhl und setzt sich erstmal. Zum Glück hat sie bereits einiges getrunken und so geht es schnell und sie sucht die nächste Toilette auf. Die volle Flasche gibt sie ab. Anschließend darf sie zur Station, die sich im dritten Stock befindet. Nach etwas suchen und fragen hat sie sie gefunden und steht vor einer Stationsschwester.  
Frau Boisen?
Ja, die bin ich.
Herzlich willkommen 
Vielen Dank.
Die Schwester zeigt mir die Station und bringt mich zu meinem Zimmer. Ein Einzelzimmer. Sie geht raus und kommt kurz darauf mit einer vollen Kanne wieder.
Bitte innerhalb von 2 Stunden aus trinken.
Hoffentlich schmeckt das auch.
Sie lächelt, stellt die Kanne auf einen Tisch und geht wieder. Sie ist allein. Setzt sich erstmal auf das Bett. Immer noch ist sie die Ruhe selbst. Spürt keine Angst in ihr. 
Sie öffnet die Schränke, legt die Taschen aufs Bett, leert sie aus und verstaut alles. Anschließend kommen die Taschen ganz oben in ein Fach. Türen zu und fertig. Handy und ihr Tolino kommen griffbereit neben das Bett. Sie geht zum Tisch, nimmt die Kanne und fängt an zu trinken. Immer wieder nimmt sie große schlucke. Bis die Kanne leer ist. Die leere Kanne bringt sie der Stationsschwester. Das Abendbrot wird verteilt. Nur sie bekommt nichts. Sie legt sich auf das Bett, nimmt ihren Tolino und liest.
Es wird Abend. Ab und zu schaut jemand rein und guckt ob alles in Ordnung ist. Die Nachtschwester stellt sich vor. 
Es wird Zeit. Sie zieht sich aus, geht ins Badezimmer, stellt sich unter die Dusche. Wer weiß, wann sie das nächste Mal dazu kommt. Deshalb dauert es dieses Mal länger als sonst. Sie genießt das warme Wasser auf ihrer Haut. Anschließend noch Zähne putzen und Nachthemd anziehen. Fertig ist sie für die Nacht. Ihre letzte mit ....
Die Nachtschwester kommt rein, fragt ob sie was für die Nacht haben möchte. Sie lehnt ab. 
Wie immer auswärts liegt sie lange wach dreht sich hin und her im Bett. Der Schlaf will nicht kommen. 
Sie bekommt mit, wie sich die Tür öffnet und wieder schließt.
Endlich fängt es an, heller zu werden, die Nacht weicht  der Morgen kommt, die Sonne geht auf. Außerhalb ihres Zimmer wird es laut. Sie dreht sich noch mal um und zieht die Decke bis ganz oben. 
Dann geht die Tür auf. Eine Schwester kommt rein, zieht die Vorhänge auf, macht ein Fenster auf. Kommt an ihr Bett.
Guten morgen, in einer Stunde werden sie abgeholt. 
Danke, dann habe ich ja noch ein bisschen Zeit.
Bis gleich, sagt sie und verlässt das Zimmer.
Endlich geht es los. Sie nimmt ihr Handy und schreibt ihrer Freundin, die am Nachmittag vorbei kommt, eine Nachricht und legt sich wieder zurück. Dann steht sie doch auf, geht ins Bad und wäscht sich. Sie legt alle Wertsachen in dem Schrank und schließt ab. Den Schlüssel gibt sie bei den Krankenschwestern ab. Dann zieht sie sich das Krankenhaushemd an und wartet im Bett, das sie abgeholt wird. Immer wieder schaut sie zur Tür. Endlich klopft es, ein Pfleger kommt rein.
Ich hole sie ab
Prima
Mit dem Bett wird sie zum OP Saal gebracht. Es geht durch viele Gänge und mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss. Dann stoppt der Pfleger vor dem OP Saal. Auf der Tür steht 
Zutritt für Unbefugte verboten
Sie grinsend
Die OP fällt aus, ich darf nicht rein
Er grinst zurück, drückt einen Schalter, die Tür öffnet sich und es geht in einen großen Raum. Menschen sind nicht zu sehen. Der Pfleger stoppt das Bett, verabschiedet sich und geht. Sie ist allein im Raum. Niemand zu sehen oder zu hören. Bis plötzlich jemand neben ihr steht.
Guten Morgen, dann wollen wir mal
Guten Morgen
Sie wird in den Vorraum gebracht. Dort wird sie mit Kabeln an einen Überwachungskasten angeschlossen. Aber nichts passiert. Der Kasten zeigt nichts an. 
Ist wohl kaputt. Ich hole einen neuen.
Sie muss grinsen. 
Aber auch der zweite funktioniert nicht.
Sie fängt an zu lachen
Die Schwester lachend:
Das ist nicht zum lachen. Im OP Saal warten sie bereits
Tja, ich würde ja gerne...
Die sollen ja nich ohne mich anfangen..

Sie geht ein neues Gerät holen aber wieder..
Das ist doch verrückt..
Erst das vierte Gerät funktioniert und zeigt Werte an.
Puuuuh..
Nun aber. Sie bekommt eine Zugang gelegt, für das Narkosemittel.
Das wird auch gleich rein getan.
Sie will noch was sagen aber.....

Sie macht ihre Augen auf und wundert sich.. befindet sie sich doch wieder in dem großen Raum in dem außer ihr niemand zu liegen scheint. Was ist mit der OP, fragt sie sich? An einer Wand sieht sie eine Uhr. 14 Uhr zeigt sie an. Dann scheint die OP vorüber zu sein. Mit der Hand wandert sie an ihrem Körper runter bis zwischen ihren Beinen. Sie fühlt einen dicken Verband. Hoffentlich ist alles gut gegangen. Sie atmet auf. Gott sei Dank. Das Ding ist weg. Nichts hängt mehr runter. 
Eine Schwester kommt, fragt ob alles in Ordnung ist.
Ja, alles gut, antwortet sie mir einem Lächeln.
Prima, ich rufe jemand, der sie wieder in ihr Zimmer bringt.
Danke
Ein paar Minuten später ist sie wieder auf ihren Zimmer. Eine Schwester öffnet ihren Schrank, holt ihr Handy raus und gibt es ihr. Sie macht es an und verschickt mehrere Nachrichten. Darunter an ihre Freundin, die unterwegs und bald da ist. 

Halbe Stunde später klopft es an die Tür.
Herein 
Ihre Freundin kommt rein und auf sie zu.
Halloooo. Glückwunsch
Sie umarmen sich vorsichtig 
Wie geht es dir?
Super, ich freue mich, hab es überstanden. Hab nur leider gar nichts mit bekommen, war irgendwie wie ein Wechsel vom Filmrollen. Von einem zum anderen Augenblick war ich in einem anderen Zimmer. Nur Stunden später. Was war dazwischen?
Sie hob die Bettdecke hoch und zeigte ihr den Verband.
Wow!!!
Mir geht es gut, nichts tut weh..
Sie quatschen und quatschen bis es Zeit für Abendbrot wird.
Sie hören schon das Geklapper von draußen. 
Dann geht auch bei ihr die Tür auf und jemand bringt essen. Sie können es riechen.
Dann passiert etwas, womit niemand rechnet.
Sie muss sich übergeben und spuckt und spuckt. Alles voll, Bettzeug, ihre Kleidung.
Plötzlich ist das Zimmer voll mit Menschen. Es wird laut, alles redet durcheinander. Was tun?
Sie soll vorsichtig aufstehen. Es macht ihr keine Probleme. Sie geht zur Seite, zieht sich aus, bekommt saubere Kleidung zum anziehen. Plötzlich merkt sie, wie sie alle angucken.
Ist was?
Geht es Ihnen gut? Ist Ihnen schwindelig?
Nein alles in Ordnung. Sie geht ein paar Schritte. Alle gucken ungläubig.
Unglaublich sagt die eine Schwester.
Nach ein paar Minuten kann sie sich wieder ins Bett legen. Die beiden sind wieder alleine im Zimmer.
Gucken sich an...
Was haben die gedacht, was passiert?
Das du hinfällst? 
Warum? Ist doch alles ok
Du bist mir eine!!!!
Das glaubt mir doch kein Mensch sagt sie.
Nee, bestimmt nicht.
Du, ich muss langsam los.
Schaaaade, danke das du hier bist. 
Sie verabschieden sich, drücken sich einmal
Ich melde mich, wenn ich zuhause bin.
Prima, komm gut nach Hause.
Und nun? Der Tag geht ihr durch den Kopf, einschließlich des Vorfalls. War schon komisch, das sie sich 2 Stunden nach der OP bewegt, als wenn nichts wäre. Aber so ähnlich war es auch nach ihren beiden Operationen aufgrund ihrer Bandscheibenvorfälle. 
Gegen Abend kommt die Nachtschwester rein. Sie hatte schon davon gehört und auch sie wollte es nicht glauben. Sie sind die erste, sagt sie.  Wow, denkt sie.

So geht ihr Tag vorüber. 2 Wochen später ist sie wieder zuhause. 6 Wochen später fängt sie langsam an zu joggen.
Dieser Tag wird ihr immer in Erinnerung bleiben.

 
                                                                   ENDE


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